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An diesem Tag gab es Grund zu feiern. Aus der ganzen Umgebung kamen die Massai zusammen, farbenfroh hoben sich ihre traditionellen rotgemusterten Umhänge vom Grün und Braun der weitläufigen Landschaft ab. Ihre Blicke in die Ferne gerichtet schauten sie auf das Land, das sich bis zum Horizont erstreckte – Lebensraum für Wildtiere und Weideland für ihre Herden. Wenige Wochen zuvor hatten hier noch Zäune das Land in kleine Parzellen unterteilt, jede im Besitz eines anderen Massai. Für Löwen, Leoparden oder Zebras war da kein Platz. Doch die Massai hatten eine Entscheidung getroffen: Sie wollten dieses Land wieder öffnen und Platz für Wildtiere schaffen. So hatten sie die Drähte zwischen den Pfosten gelöst und die Zaunpfähle einen nach dem anderen aus der Erde geholt. Sie hatten einen wichtigen Wanderkorridor für Wildtiere wieder geöffnet und erreicht, dass Elefanten einen ihrer Jahrtausende alten Wege wieder nutzen können. Grund genug, sich das Gemeinschaftswerk jetzt anzusehen. Doch der Höhepunkt des Tages sollte noch kommen: Vor den Augen der versammelten Menschen bahnten sich etwa hundert Elefanten und fast ebenso viele Giraffen ihren Weg in das Gebiet hinein! Friedlich grasend eroberten sie ihren Lebensraum zurück.
Der Wildtierkorridor, den die Massai wieder geöffnet hatten, ist Teil der Siana Conservancy, eines Gemeindeschutzgebiets, das unmittelbar an das Masai Mara Nature Reserve grenzt. Am Rande dieses bedeutenden staatlichen Schutzgebiets leben immer mehr Menschen; ihre Viehherden wachsen und rücken immer dichter an das Naturschutzgebiet heran.
Eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte verschärft den Druck auf die natürlichen Ressourcen weiter: die Aufteilung des bisherigen Gemeindelands in einzelne Parzellen. Häufig werden diese dann bebaut und abgegrenzt – ein Trend, der vielerorts in Kenia zu beobachten ist. Wo die Massai seit Jahrhunderten in Harmonie mit den Wildtieren gelebt hatten, durchschneiden heute Zäune die Landschaft und bringen das Gleichgewicht der Natur aus dem Takt.
In der Siana konnte dieser Trend gestoppt werden: Die Landbesitzer und Landbesitzerinnen entschieden sich, an einem Modellprojekt des WWF teilzunehmen und sich einer nachhaltigen Landnutzung zuzuwenden, die auf ihren eigenen Traditionen beruht. So kehrten sie die Entwicklung um, die nicht nur der Natur Schaden zugefügt hatte, sondern auch der Massai-Gemeinschaft. Mit Gründung der Siana Conservancy nutzen die Massai ihre Viehweiden jetzt wieder gemeinschaftlich, zum Vorteil der Gemeinschaft und der Natur.
Die Idee dahinter ist ebenso einfach wie wirksam: Die Gemeinde überlässt den Wildtieren eine große Fläche ihres Landes als Gemeindeschutzgebiet – die Siana Conservancy. Jede:r einzelne Massai trägt dazu bei, indem er oder sie einen Teil seines oder ihres eigenen Landes an die Gemeinschaft verpachtet. Im neuen Gemeindeschutzgebiet werden Zäune abgebaut, wenn notwendig wird renaturiert und die ursprünglichen Wanderwege für Wildtiere werden wieder geöffnet. Innerhalb des Gemeindeschutzgebietes wird von nun an nur noch naturverträglich beweidet.
Solange sich das Modellprojekt noch nicht selbst trägt, bezuschusst der WWF die Pacht, die die Landeigentümer:innen von der Siana Conservancy erhalten. Doch das Land erholt sich schnell und Wildtiere wie Elefanten, Giraffen und Löwen erobern sich ihren Lebensraum zurück. Das wiederum ist ein Wert für sich und eröffnet der Gemeinde eine neue Einkommensquelle: den naturverträglichen Tourismus. In der Zukunft werden die Einnahmen zum Beispiel aus Öko-Lodges ausreichen, um die Pacht an die Landeigentümer:innen zu finanzieren. Indem sie Einkommen und Jobs ermöglicht, trägt die intakte Natur dazu bei, die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern.
Es war ein langer Weg, bis das „Modellprojekt Siana Conservancy“ Wirklichkeit wurde – bis die Zäune verschwanden und die Elefanten zurückkehrten. Unzählige Gespräche sind geführt worden, Pachtverträge mit mehr als 2.500 Menschen wurden abgeschlossen und ein jeder und eine jede musste von den Vorteilen des Vorhabens überzeugt werden. Dieser Weg hat sich am Ende für alle gelohnt – für die Massai, für die Wildtiere und auch für die Region, die auf weitere Conservancies nach diesem Modell hoffen darf.
In der Mara wie andernorts auch brauchen die Menschen immer mehr Land für Ackerbau und stetig wachsende Viehherden, Siedlungen und Infrastruktur. Die traditionelle nomadische Viehhaltung der Massai gibt es kaum noch und auch der Platz für Wildtiere schwindet. Mit Hilfe des WWF wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Gemeindeschutzgebiete eingerichtet und so Modellprojekte geschaffen, die dazu beitragen, diesen Trend umzukehren. Ein Blick von oben auf eine Landschaft, reich an Natur und Kultur.
Johannes Kirchgatter, Referent für südliches und östliches Afrika beim WWF Deutschland
Für die Siana Conservancy haben rund 2.500 Landeigner:innen der Massai-Gemeinschaft einen Teil ihres Landes verpachtet und so der Natur zur Verfügung gestellt. Wie schafft man es, alle von dieser Idee zu überzeugen?
Wenn eine Idee überzeugend ist und die Vorteile klar sind, dann hat sie Aussicht auf Erfolg. Trotzdem war es ein langer, oft auch schwieriger Weg. Wir haben unglaublich viele Gespräche geführt, Bedenken gehört, das Projekt angepasst. Dafür braucht es Ausdauer, Geduld, Verständnis und einen Austausch auf Augenhöhe. Es ist wichtig zu verstehen, was die Menschen vor Ort für sich selbst wünschen – und das Projekt miteinander zu gestalten. Letztlich ist es einzig die Entscheidung der Massai selbst: Wie wollen sie leben, wie stellen sie sich ihre Zukunft und die ihrer Kinder vor. Was ich in diesen Gesprächen immer wieder gehört habe ist, dass die Menschen vom Naturschutz überzeugt sind, weil er Arbeitsplätze und somit Einkommen schafft – zum Beispiel über Jobs als Guide oder Gemeindewildhüter:innen oder auch durch die Öko-Lodges und deren Pachtzahlungen an diejenigen Landbesitzer:innen, die ihr Land der Conservancy überlassen haben. Die Menschen sind aber auch deshalb vom Naturschutz überzeugt, weil er außer dem Naturerbe auch ihre Kultur bewahrt – eine Kultur, auf die sie sehr stolz sind. Sie haben jetzt eine Perspektive, wie sie von ihrem Land leben können, ohne die Natur zu zerstören. Das ist die Basis für den Erfolg.
Was sind aus deiner Sicht die größten Erfolge dieses Modellprojektes?
Zunächst einmal genau das: Dass es uns gelungen ist, ein Modellprojekt zu etablieren, das eine Blaupause für andere Regionen in Unganisha ist. Der Erfolg der Siana Conservancy überzeugt immer mehr Gemeinden mitzumachen. Und natürlich die ganz konkrete positive Wirkung auf die Natur: Über Zählungen konnten wir zum Beispiel feststellen, dass die Zahl der Elefanten bereits deutlich gestiegen ist. Und Geparden zum Beispiel gibt es überhaupt erst wieder in der Siana, seit es das Gemeindeschutzgebiet gibt.
Gibt es einen Moment, der dich persönlich besonders berührt hat?
Ja, das war tatsächlich dieser Moment, als wir zum Wanderkorridor rausgefahren sind, der die bereits bestehende Siana Conservancy um noch einmal mehr als 6.000 Hektar erweitert hat. Dass ausgerechnet in dem Moment, als wir vorfuhren, eine Elefantenherde und kurze Zeit später auch eine Gruppe Giraffen durch das gerade erst geöffnete Gebiet streiften – das hat mich unglaublich bewegt. Seit Jahren hatten wir darauf hingearbeitet, dieses so wichtige Stück Natur zu retten. Jetzt zu sehen, wie gut das funktioniert – nicht nur für die Natur, auch für die Menschen – das war das Schönste, was ich mir erhofft hatte.
2015
35.000 Hektar
mehr als 2.500 Massai
Sicherung und Renaturierung von Lebensräumen und Wanderkorridoren für Wildtiere; Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen vor Ort; Schutz des Landes vor Wilderei und illegale Nutzung durch Gemeindewildhüter:innen; Minderung von Mensch-Wildtier-Konflikten.